Die gemeinnützige Forschungs- und Entwicklungsorganisation Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi) hat im Namen eines Konsortiums von 26 afrikanischen und globalen Forschungsorganisationen ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Durchführung dringend benötigter Studien in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs), in denen das orale Virostatikum Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid) eingesetzt wird, von Pfizer, dem Entwickler des Medikaments, blockiert wird.
Nirmatrelvir/Ritonavir hat sich als eine der vielversprechendsten antiviralen Behandlungen für ambulante Patient:innen mit leichter bis mittelschwerer COVID-19-Infektion erwiesen, da es das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder das Versterben von Patient:innen mit hohem Risiko einer schweren Erkrankung um bis zu 89 % reduziert.[1] Diese und andere neuartige orale antivirale Behandlungen werden ein wichtiger Bestandteil des therapeutischen Instrumentenkastens sein, um jetzt Patient:innen zu behandeln und sich auf künftige Wellen vorzubereiten. Allerdings muss das Medikament innerhalb von 3 bis 5 Tagen nach Auftreten der Symptome eingenommen werden, um wirksam zu sein und Patient:innen so früh im Verlauf ihrer Infektion zu erreichen, ist schwierig.
Eine Interimanalyse, die im Rahmen der laufenden klinischen ANTICOV-Studie in zehn afrikanischen Ländern durchgeführt wurde, ergab, dass von den 1180 teilnehmenden Patient:innen mehr als die Hälfte erst nach dem fünften Tag zur Behandlung vorstellig wurden (Mittelwert 5,1 Tage, Median 5,0 Tage). Dies bedeutet, dass selbst im Rahmen einer klinischen Studie mehr als die Hälfte der Patient:innen nicht von Nirmatrelvir/Ritonavir profitieren würde.
Um dieses Problem zu lösen, muss untersucht werden, ob das Behandlungsfenster für den Einsatz von Nirmatrelvir/Ritonavir zusammen mit anderen Arzneimitteln auf mindestens sieben Tage erweitert werden könnte. Dies wäre für immunsupprimierte Patient:innen von Vorteil, die am anfälligsten für ein Fortschreiten der Krankheit sind, aber von den Phase3-Studien ausgeschlossen wurden (daher gibt es keine belastbaren Daten für die Behandlungsstrategien).
DNDi und Forscher:innen aus verschiedenen Universitätskliniken in Europa haben sich separat an Pfizer gewandt, um eine mögliche Zusammenarbeit bei Kombinationsstudien in LMICs zu prüfen, aber Pfizer verweigert den Zugang zum Medikament für Forschungszwecke.
„Es gibt äußerst wichtige Forschungsfragen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die schnell beantwortet werden müssen – insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen der Zugang zu Impfstoffen nach wie vor gering ist“, sagte Dr. Nathalie Strub-Wourgaft, Direktorin der COVID-19 Arbeitsgruppe von DNDi und eine der Koordinator:innen des ANTICOV-Konsortiums. „Es ist schwer zu verstehen, warum inmitten einer globalen Pandemie die Zusammenarbeit verweigert wird. So wird ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Es befinden sich viele andere vielversprechende antivirale Medikamente in der Entwicklung und diese neuen Behandlungen erfordern ebenfalls weitere Forschung, um ihren optimalen Einsatz in ressourcenbeschränkten Regionen zu ermitteln.“
DNDi befürchtet außerdem zusätzliche Hürden bei der Beschaffung generischer Versionen des Medikaments, um die entsprechenden Kombinationsstudien über ANTICOV durchzuführen:
- Die Bedingungen der Lizenzvereinbarung zwischen Pfizer und dem Medicines Patent Pool (MPP) könnten so ausgelegt werden, dass Unterlizenznehmer Nirmatrelvir/Ritonavir nicht für die Art von Kombinationsstudien nutzen können, die DNDi und andere durchführen wollen, es sei denn, sie haben eine ausdrückliche schriftliche Genehmigung von Pfizer.[2]
- Einige Generikahersteller melden Schwierigkeiten, Paxlovid als “Referenzarzneimittel” zu erhalten, damit sie die erforderlichen Bioäquivalenzstudien durchführen können, um Behörden nachzuweisen, dass ihre generische Version die gleiche Wirkung im Körper hat. Dadurch wird die Verfügbarkeit von Generika sowohl für die Forschung als auch für den klinischen Gebrauch faktisch blockiert.
„Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass klinische Studien zur COVID-19-Behandlung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen durchgeführt werden und dass alle Produkte gefährdete Bevölkerungsgruppen erreichen“, sagte Dr. John Amuasi, Leiter der Forschungsgruppe für globale Gesundheit und Infektionskrankheiten am Kumasi Center for Collaborative Research in Tropical Medicine in Ghana und einer der Projektleiter:innen von ANTICOV. „Es darf nicht so weit kommen, dass Forschungsprioritäten durch das Handeln oder Nichthandeln eines Unternehmens bestimmt werden.“
DNDi, das ANTICOV-Konsortium und andere klinische Forscher:innen fordern Pfizer daher auf:
- Stimmen Sie der Bereitstellung von Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid) für die von der DNDi koordinierte ANTICOV-Studie und andere relevante klinische Studien zu;
- Beseitigen Sie alle Unklarheiten oder Beschränkungen in der Lizenzvereinbarung zwischen Pfizer und dem MPP, die Unterlizenznehmer daran hindern könnten, solche Forschungsstudien durchzuführen (oder stellen sie öffentlich klar, dass es keine solchen Beschränkungen gibt);
- Gewähren Sie Zugang zu Pfizers Originalpräparat als “Referenzarzneimittel”, damit jeder interessierte Generikahersteller die für die Zulassung erforderlichen Bioäquivalenzstudien durchführen kann; und
- Stellen Sie ausreichende Mengen von Paxlovid speziell für LMICs bereit und beseitigen Sie alle Hürden für den Zugang zu generischem Nirmatrelvir/Ritonavir, um die Versorgung und Behandlung in LMICs zu verbessern.
Über DNDi
Als gemeinnützige Forschungs- und Entwicklungsorganisation arbeitet DNDi an der Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten für Patient:innen mit vernachlässigten Krankheiten wie der Chagas-Krankheit, der Schlafkrankheit (Afrikanische Trypanosomiasis), der Leishmaniose, Filarieninfektionen, Myzetom, HIV-Infektionen bei Kindern und Hepatitis C. Zudem koordiniert DNDi die klinische Studie ANTICOV zur Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten für leichte bis mittelschwere COVID-19-Verläufe in Afrika. Seit der Gründung im Jahr 2003 hat DNDi bereits neun Therapien entwickelt. Darunter sind neue neue Medikamentenkombinationen für Leishmaniose, zwei Kombinationspräparate für Malaria sowie die erste von DNDi eigenverantwortlich entwickelte chemische Substanz Fexinidazol, die 2018 in Tablettenform für die Behandlung beider Stadien der Schlafkrankheit zugelassen wurde. dndi.org
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Frédéric Ojardias (Genf)
fojardias@dndi.org
+41 79 431 62 16
Ilan Moss (New York)
imoss@dndi.org
+1 646 266 5216
[1] Siehe FDA-Pressemitteilung vom 22. Dezember 2021: Coronavirus (COVID-19) Update: FDA Authorizes First Oral Antiviral for Treatment of COVID-19 | FDA
[2] Pfizer-MPP License and Sublicense (Execution Version), November 2021